Ort: Bushaltestellen Bamberg Rodelbahn und Ludwigstraße BhfVon August bis Ende Dezember 2020 machen wir Künstler "Sichtbar auch aus der Distanz". Die Plakataktion auf zwei Wänden - am Bhf Bamberg und an der Bushaltestelle Rodelbahn an der Buger Spitze - gibt einen Blick auf die als Preisträgerinnen und Preisträger eingeladenen 13 Bildenden Künstler, Komponisten und Autoren frei, die im Künstlerhaus zu Gast sind. Begleitet vom Grafikbüro 2xGoldstein aus Karlsruhe wurden die Ideen der 13 umgesetzt und gestaltet. Die Wände werden alle 10 Tage "ihr Gesicht" verändern. Manche Entwürfe korrespondieren miteinander, funktionieren wie Rätsel, manche sind identisch. Hoffentlich lädt jede Gestaltung immer wieder zum Hinschauen ein.
Petra Strahovnik im Gespräch
1. Frau Strahovnik, könnten Sie Ihre Gefühle für Bamberg beschreiben? Hat die Stadt zu Ihrem vorübergehenden Zuhause werden können, während Sie ja doch zwischen Slowenien und Ihrer Wahlheimat Holland hin-und herreisen?/ Miss Strahovnik, could you describe your feelings towards Bamberg? Has the city become somewhat of a home to you, traveling between Slowenia and your chosen home country The Netherlands?
DE: Ich fühle mich hier sehr willkommen, warmherzig aufgenommen. Es gibt mir die Möglichkeit nachzudenken, in mich hineinzuschauen, auf meine innere Stimme zu hören. Als ich von einem Projekt im Ausland zurückkehrte, hatte ich dieses Zuhause-Gefühl. Die Stadt liegt geografisch zwischen meinem Heimatdorf in Slowenien und meinem Zuhause in den Niederlanden. Sie ist zudem eine Mischung aus diesen beiden Landschaften. Die riesigen historischen Anlagen mit integrierter Natur, Wasser wie holländische Kanäle, welliger Boden wie slowenische Hügel. Gleichzeitig gibt Bamberg mir ein Gefühl von Gemütlichkeit, das mich an das kleine Dorf Rakitna erinnert, in dem meine Mutter geboren wurde. Und was für eine Überraschung diese Woche. Es ist schon so lange her, dass ich am 1. Dezember Schnee erlebt habe. Das war meine Kindheit. Ja, Bamberg ist zu meinem Zuhause geworden. Ich liebe die Stadt, die freundlichen Menschen, die Künstlerkollegen. Wir hatten sofort eine starke Verbindung, aus welcher Freundschaft zu wachsen begann.
EN: I feel very welcoming, very warm. It gives me a reflection, to look inside myself, to listen to inside voice. When traveling back from the project abroad I had that feeling of homeliness. The city is literally located between my home village in Slovenia and my home in the Netherlands. It actually is a mixture between those two landscapes. The enormous historical buildings with integrated nature, water as Dutch canals, wavy ground as Slovenian hills. At the same time, it does give a feeling of coziness, which reminds me of the small little village Rakitna, where my mother was born. And what a surprise this week. Such a long time since I experience snow on 1st of December! That was my childhood. Yes, Bamberg did become my home. I love the city, friendly people, the fellow artists. We instantly made a strong connection from where friendship started to grow.
2. Vor Kurzem waren Sie noch mit einem großen Orchesterstück beschäftigt, jetzt werden Sie Ihren Arbeitsprozess selbst ausstellen. Ihre Ideen scheinen zu sprudeln, ist das immer so? / You’ve been working on large orchestra-pieces as of late and are now getting ready to make your creative process a matter of observation. It seems your ideas are constantly flowing. Am I mistaken?
DE: Ich habe tonnenweise Ideen. Ich werde sie wohl kaum alle aufschreiben. Zumindest mache ich mir Notizen, und vielleicht kann jemand anderes einige davon umsetzen. Vor allem ein Projekt im größeren Maßstab. Kreativität ist meine Konstante, liegt in meiner Natur und belebt mich, versetzt mich in Spannung und lässt mich atmen. Die Ideen, die ich einfangen und auf die ich mich konzentrieren kann, können sich zu einer einzigartigen Erfahrung entwickeln. Stück für Stück kommen die fließenden Ideen zueinander und werden sichtbar, berührbar, hörbar. Ich würde es so beschreiben, als würde man durch einen winzigen Kanal gehen, in dem sich die Welt öffnet, und da ist es: ein komponiertes Stück, so kraftvoll und stark wie real. Es ist sehr intensiv, sich auf die Idee zu konzentrieren und sie am Leben zu halten. Der Verstand neigt dazu zu wandern, es tauchen andere Gedanken auf. Dann wird es zu harter Arbeit es aufzuschreiben, in jedem Detail.
EN: I have tons of ideas. Hardly I will ever write them all down. At least I make notes and perhaps someone else could realize some of them. Especially one on the larger scale. Creativity is my constant, it is in my nature and it gives me excitement, thrills and the next breath. The ideas I can capture and focus on, can develop into a unique experience. Piece by piece the floating ideas come together and become visible, touchable, hearable. I could describe it as going through a tiny channel, where the world opens and there it is, the piece as powerful and strong as in reality. To focus on the idea and keeping it alive is very intense. The mind tends to wander, other thoughts are appearing. Then becomes the hard work, writing it down, with every detail.
3. Wo sammeln Sie Inspirationen für Ihre Stücke? / Where do you search for inspiration for your pieces?
DE: Von klein an habe ich alles in Frage gestellt. Ich bin fasziniert von unserer Existenz, unserer Welt, der Geheimnis dahinter, neuer Entdeckungen, Theorien. Von Stück zu Stück ist die Inspiration anders. Manchmal bin ich von einem bestimmten Klang und seine Energie besessen, so dass sie zu meinem Material werden. Auf der anderen Seite integriere ich soziale Komponenten, Codes und die Auswirkungen, die sie auf den einzelnen Menschen haben.
Ich kann sagen, dass ich in meiner kurzen Existenz hier einige Erfahrungen sammeln durfte. Einfach eine junge Künstlerin mit Indigo-Feuer zu sein, eine völlig andere Perspektive als andere einzunehmen, eine Teeniemutter zu sein, ständig für meine/eure/ihre Rechte zu kämpfen, eine heftige Angststörung durchzumachen, die zu Depression führt, weiter zu kämpfen, zu ertrinken, zu überleben, aber trotz allem die Leidenschaft für das Schaffen, das Leben, das Sein, das Wieder-Anschluss-Finden zu haben. Mein Weg und all die schönen Seelen, die mir nahe sind, bereichern meine Erfahrungen hier und bringen ständig Ideen.
EN: From very early age I questioned everything. I am intrigued by our existence, our world, the mystery behind, new discoveries, theories. From piece to piece the inspiration is different. Sometimes I am obsessed by particular sound, energy around, so it becomes my material. But on other hand I integrate social issues, codes and the impact it has on individual person.
I could say that I gain quite some experiences in my short existence here. With just being a young artist soul with indigo fire, having completely different perspective as others, being a teen mom, constantly fighting for my/your/their rights, going through severe anxiety disorder which led me to depression, keep fighting, drowning, surviving, but having all along the way passion for creating, living, being, re-connecting. My path and beautiful souls close to me are enriching my experience here and bringing constant inspiration.
4. In einem der Projekte, „disOrders“, kombinieren Sie Musik, Elektronik und Video mit der Performance-Kunst, um die Themen der mentalen Gesundheit ins Licht zu bringen. Wie oft experimentieren Sie mit den anderen Künsten in Ihrer Arbeit? / One of your projects, „disOrders“, is about combining music, electronics, video and performance art in order to shed light on mental health issues. How often do you experiment with other arts in your work?
DE: Ich erlaube mir eine Ausdrucksfreiheit durch jede Kunstdisziplin. Mein eigentliches Werkzeug ist natürlich die Musik, aber es gibt manchmal Zeiten, in denen die Idee durch andere Kunstformen kanalisiert werden muss, um eine Vision zu erreichen. Wie in dem von Ihnen erwähnten Projekt, „disOrders“. Mein Schwerpunkt in diesem offenen Konzept war die Suche nach neuen Wegen, musikalische Sprache mit Performance-Kunst zu verbinden, wo sie sich gegenseitig beeinflussen, aber in einer Symbiose leben. Ich glaube an Teamarbeit, deshalb arbeite ich mit dem Performance-Kunst-Konzept „following the Material“, um das Werk, das ich für Musiker schreibe, gemeinsam mit ihnen selbst zu schaffen. Die Mitwirkung der Musiker ist der Schlüssel für ein Ermächtigen zur schriftlichen Schöpfung, und durch ihre Anwesenheit ist das Publikum zu dieser Erfahrung eingeladen.
Ein sehr wichtiger Aspekt ist auch Einblicke durch Fachleuten aus folgenden Gebieten zu erhalten: Psychologie, Neurologie und mit denjenigen zu arbeiten, die diese Realität leben. Ich bin sehr leidenschaftlich bei diesem Projekt und möchte weiterhin das Bewusstsein über Neurodiversität und psychische Gesundheit verbreiten. Wenn ich einen Rat geben könnte, würde ich sagen „Seid mitfühlend mit anderen, aber auch mit euch selbst“. An Letzteres muss ich mich selbst jeden Tag erinnern.
EN: I allow myself a freedom of expression through any discipline of art. My strong tool is of-course music, but there is time where the idea needs to be channelised through other art disciplines to achieve the vision. As in the project you mentioned, disOrders. My focus in this open concept was searching for new ways to intertwine musical language with performance art, to influence one another, but live in symbiosis. I believe in collaboration, therefore I am using a Performance Art concept ‘following the Material’ to co-create the work I write for musicians with musicians themselves. The musicians’ involvement is the key to empowering the written creation and through their presence the audience is invited into the experience.
Very crucial aspect is also to have the insights, to collaborate with professionals working in the field, psycologists, neurologist and from the one who are living that reality. I am very passioned about this project and would like to continue spreading awareness about neuro diversity and mental health. If I can give one advise, I would say, ‘be compassion towards other, but also yourself.’ I do need to remind myself on the last one every day.
5. Könnten Sie uns über Ihre Projektidee im Bürgerlabor in Bamberg erzählen? Was werden Sie tun und was ist das Besondere am Ort dieser Performance für Sie? / Could you please tell us about your project idea at the Bürgerlabor in Bamberg? What will you do there and what is special about the location of this performance to you?
DE: Das Projekt „Das ewige Jetzt“ ist Angelegenheit des Beobachtens/ Beobachtet-Werdens. Ich schreibe ein Stück für großes Orchester und 2 Perfomancekünstler. Ich zeige jeden Schritt dieser Reise. Ich möchte es real, authentisch, ehrlich und roh halten. Ich spiele, improvisiere mit Klavier, Geige, Objekten. Ich sitze, beobachte die „Außenwelt“, die innere Welt, zähle das Tempo der Schritte der Passanten, schreibe den zufälligen Gedanken auf, entwerfe, singe, denke nach, erwische mich im neuen Bewusstseinszustand. Und ich schreibe dann tatsächlich die Noten auf: Sehr romantisch, mit Bleistift auf einem Blatt Papier.
Ich stelle mir 60 Musiker vor, die die Zuschauer umgeben und zur Wand gerichtet sind, in 2 Meter Abstand, alleine. Jeder wird seinen eigenen Part haben, ohne Musik- oder Klangunterbrechung. Die Intensität der Handbewegung hoch und runter der Saiten ist ein Kennzeichen der komponierten Rhythmik und darum der Klangfarbe. Geist und Körper, innerlich verbunden. Durch Bewegungen und Intensität wird der Prozess der Performativität sichtbar. Zwei performende Künstler auf der Bühne kämpfen um ihre eigene Präsenz. Die Suche nach dem „Dazwischen“, wo weder die Zeit noch der Raum existieren. Nur wenn Balance und Zeit perfekt passen, wird sich das Performance-Material von beiden Seiten öffnen und zu einem Moment der Ewigkeit führen. Das Bürgerlabor befindet sich sehr zentral, im belebtesten Teil der Fußgängerzone Bambergs. Viele Menschen laufen vorbei, schauen rein oder bleiben für eine Weile stehen. Ich fühle mich sehr privilegiert, die Möglichkeit zu haben, in diesen merkwürdigen Zeiten vor Publikum performen zu können.
EN: The project ‘The Eternal Now’ is matter of observing and being observed. I am creating a piece for large orchestra and 2 performance artists. I show every step of the way. I keep it real, authentic, honest, raw. I play, improvise, experiment with piano, violin, objects. I sit, observe the ‘outside’ world, the inner world, I count tempo of passers-by steps, write down random thought, conceptualize, I sing, think, finding myself in new states of mind. And I also literally write the notes on the score; very romantic, with pencil on the sheet of paper.
I imagine 60 musicians surrounding the public, facing the wall, being 2 meters apart, being alone. Having each their own part, which consist of no break music/sound. The intensity of the hand moving up and down on the strings is the indicator for the written rhythm and therefore the sound color. Mind and Body, internally connected. Through the moves and intensity the concept of performance art starts appearing. The two performing artists on stage are fighting for their own presence. They search for an ‘in between’, where neither the time nor space exists. Only if the balance is correct and timing perfect the performance material from both parties opens up and gives that moment of eternity.
The Bürgerlabor is very centrical, one of the most busy pedestrian streets in Bamberg. Many people pass by, look inside or even stand by the window for a while. I do feel very privileged to be able to perform in-front of people in these strange times.
6. Zwei Phrasen sind auf Ihren Plakaten an den Bushaltestellen an der Buger Spitze und am Bahnhof zu sehen („and Be All Eyes“ und „and Be All Ears“). Beschreiben diese zwei Sinne Ihre Herangehensweise ans Komponieren? Könnten Sie uns mehr über die Auswahl der Motive erzählen? / Two phrases can be seen on your posters at the bus stops „Rodelbahn“ and „Bahnhof“ („and Be All Eyes“ and „and Be All Ears“ ). Do these two senses (hearing and vision) describe your approach to composition? Would you mind revealing more about the chosen motifs?
DE: Die Idee dahinter ist, unsere komplette Aufmerksamkeit einem unserer Sinne zu widmen, um in den Genuss der ganzen Erfahrung zu gelangen. Die Phrase „Pause (musikalisches Zeichen) and Be All Eyes“ suggeriert den Fokus auf den visuellen Aspekt, eifrig zuzuschauen, zu beobachten und zu sehen, was man in diesem Augenblick erfassen kann. Die Inspiration für das visuelle Bild erhielt ich von dem Fotografen Joris-Jan Bos, der seltsame, einzigartige, aber wunderschöne Bilder für das Projekt „disOrders“ anfertigte.
Auf der anderen Seite schlägt die Phrase „Pause (musikalisches Zeichen) and Be All Ears“ vor, eifrig zuzuhören. Das zweite Bild ist während einer 9-stündigen Perfomance in Frankfurt entstanden; von dem Fotografen und Performancekünstler Jürgen Fritz, der am 12. Dezember mit mir im Bürgerlabor für die Langzeitperformance zu sehen sein wird.
Wenn Sie mit einem Kunstwerk, mit einem Musikstück in Berührung kommen - aber auch im alltäglichen Leben - gönnen Sie sich frühzeitig einen Moment der Beobachtung. Lassen Sie sich auf den Moment ein. Komponisten widmen ihre Zeit dem Graben, Tauchen, Schaffen… Musiker/ko-kreierende Künstler widmen ihre Zeit dem Graben, Tauchen, Erforschen… Der Zuhörer sollte bereit sein, seine Zeit dem "Be all Ears" und/oder "Be all Eyes" zu widmen, um volle Erfahrung zu machen und Energie in all den Formen zu gewinnen, die auf diesem Weg geschaffen wurde. Für diese Erfahrung müssen wir kämpfen.
EN: The idea behind is to dedicate our full attention to one of our senses in order to gain the full experience. The phrase ‘Pause (the musical sign) and Be All Eyes’ suggests to give all our focus on visual aspect, to watch eagerly, to observe and to see what it can be captured in the moment. The inspiration for the visual image I got from the photographer Joris-Jan Bos, who created odd, unique, but beautiful images for the project „disOrders“.
On the other hand the phrase ‘Pause (musical sign) and Be All Ears’ proposes to listen eagerly. The second image is captured in one moment of 9 hours performance in Frankfurt, by photographer and performance artist Jürgen Fritz, who will be joining me in the Bürgerlabor for the long durational performance on the 12th of December.
When being in touch with art piece, with piece of music, but also in everyday live, give yourself a moment of observation early. Be engaged with the moment. Composers dedicate their time to dig, dive, create.. Musicians/artists co-creates, dedicate their time to dig, dive, explore.. The listener should be willing to dedicate their time to Be all Ears and/or Eyes to have full experience and gain the energy in all the forms which were created along the way. We do have to fight for the experience.
Bildmotiv Plakat an Rodelbahn: Petra Strahovnik, "Exploring Don Quixote", Kunstverein Familie Montez, Frankfurt am Main 2019, Fotograf Jürgen Fritz
Gestaltung: 2xGoldstein
Das Interview führte und übersetzte Maria Svidryk, Volontärin im Künstlerhaus
Fotos: Maria Svidryk © Villa Concordia